OLDIES
von Franz
Schöler
Franz Schöler ist seit über
4 0
Jahren aufmerksamer Be-
obachter der Musikszene. In
STEREO kommentiert er neu
erschienene Aufnahmen der
Rock- und Popgeschichte.
Deep Purple
MADE IN JAPAN - DELUXE
Universal 4 CDs (282’) + DVD
Auch als LP geplant
REPERTOIREWERT
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ÜBERSPIELQUALITÄT
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Live-Mitschnitte waren vorher in
aller Regel Heimspiele gewesen:
James Brown im Apollo, Johnny
Cash im Knast von Folsom, die
MC5 in Detroit, die Who in Leeds,
alle in Hochform auf vertrautem
Terrain. Nach „Made In Japan“
wurden immer häufiger Gastspie-
le in Fernost aufgezeichnet; von
Eric Clapton bis Keith Jarrett Trio -
dort mitgeschnittene Platten sind
Sternstunden in der Karriere ihrer
Interpreten.
Für Deep Purple zahlte sich aus,
dass sie Tonmeister Martin Birch
nach Japan mitnahmen, um auf Mul-
titrack vom erstklassigen Profi aufge-
zeichnete Konzerte mit nach Hause
nehmen zu können. Birch war zuvor
Toningenieur bei so hochkarätigen
Produktionen wie der zweiten LP der
Jeff Beck Group und beim Fleetwood
Mac-Meisterwerk „Then Play On“.
Das von ihm betreute „Deep Purple
In Rock“ wurde ein Meilenstein des
noch jungen Heavy Metal-Genres.
Der Zusammenschnitt der drei Ja-
pan-Konzerte auf Doppel-LP war für
Deep Purple der zweite Megaseiler in
den USA nach „Machine Head“ - kei-
ne wirkliche Konkurrenz für die Re-
korde brechenden Led Zeppelin, aber
Blaupause für zahllose neue Bands
dort, die sich vor al-
lem den Gitarris-
ten und den Sän-
ger zum Vorbild
nahmen.
Die
hatten bei den
J a p a n -A u f
tritten wäh-
rend man-
cher Songs
unglaublich perfekt harmoniert. Die
Tatsache, dass sich Gitarrist und Or-
ganist in ihrer professionellen Eitel-
keit gegenseitig befeuerten, förder-
te das musikalische Niveau der Auf-
tritte ganz beträchtlich.
Ohne nachträgliche Studio-Over-
dubs
klangkosmetisch
aufge-
hübscht, hört man das mehr noch
bei den drei ungekürzten Konzer-
te einschließlich Zugaben der diver-
sen jetzt vorgelegten Deluxe-Editio-
nen. Da findet man nämlich statt ei-
nes Remastering alle Stücke gänz-
lich neu abgemischt: In weit besserer
Klangqualität denn je zuvor!
OLDIE DES MONATS
Oasis
L'.'.i
11 i
Big Brother/Indigo 4 CDs
(204’)
LP-Ausgabe ist geplant
REPERTOIREWERT
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ÜBERSPIELQUALITÄT ★
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Dass die Leser des „New Musical
Express“ 2006 das Debüt der Grup-
pe Oasis zum besten und das fol-
gende „(What’s The Story) Mor-
ning Glory“ zum fünftbesten A l-
bum aller Zeiten erklärten, sollte
man gelassen zur Kenntnis neh-
men. Was eher verblüfft, ist die Tat-
sache, dass „Definitely Maybe“ in
den Listen der besten Erstlingswer-
ke so weit abgeschlagen hinter Ji-
mi Hendrix Experience und Velvet
Underground, The Band, Strokes
und anderen auftaucht. Denn egal,
wie deutlich sich Noel Gallagher
bei seinem Einstand als Songwri-
ter von Beatles und David Bowie,
T.
Rex und anderen geschätzten
Vorbildern „inspirieren“ ließ: Ei-
nen ähnlich phänomenalen Start
hatten in den Jahren davor in Eng-
land (!) nur Smiths und Stone Ro-
ses hingelegt.
Das exakte Gegenteil eines Ge-
heimtipps a la „Murmur“ von
R.E.M., war danach nicht klar, ob
und wie lange die Gallagher-Brü-
der das nicht nur mit dem Debüt-Al-
bum, sondern auch weiteren Songs
des ersten Jahres gegebene Ver-
sprechen auf diesem Niveau ein-
lösen würden. Was immer Roger
McGuinn und Chris Hillman (mit
„So You Want To Be A Rock ,n‘ Roll
Star“) oder David Bowie mit sei-
ner Geschichte von Ziggy Star-
dust an Bedenken hinsichtlich des
Rockstar-Daseins angemeldet ha-
ben mochten, ging den in Residen-
zen wie „Supernova Heights“ und
ihre Rockstar-Exzessse lebenden
Brüdern ganz hinten vorbei. „To-
night I’m a rock and roll star!“ hat-
te Liam Gallagher gleich im ersten
Song des Albums erklärt. Die ge-
rade mal auf zwei Dezibel musika-
lische Dynamik komprimierte Bot-
schaft kam an. Im Vergleich dazu
klang die Dynamik des Liebeslieds
„Slide Away“ geradezu sublim, die
Band auch hier in Gitarrenrock pur
schwelgend.
Jetzt remastered klingt die Pro-
duktion von Mark Coyle und Owen
Morris - Pegel praktisch kons-
tant knapp -2 dB unter Digital
Null - teils so grell, dass sich Tin-
nitus einstellen kann. Als Fan be-
hält man besser die Original-CD -
oder wählt als Alternative die V i-
nyl-Variante. Was die Deluxe-Aus-
gaben des Erstlingswerks für den
inneren Fan-Zirkel aber zum un-
verzichtbaren Sammlerteil macht,
sind die (teils akustischen) Demos
und Live-Mitschnitte von Songs
wie „Listen Up“, „Fade Away“ und
„Columbia“, die man endlich al-
le - knapp drei Dutzend - auf den
anderen beiden CDs versammelt
findet. Das schon sehr beatlesque
„(It’s Good) To Be Free“ hatte es
damals nicht auf die LP geschafft.
Und wie Oasis damals ihre private
Beatlemania praktizierten, doku-
mentieren die acht Minuten Live-
Mitschnitt von „I Am The Walrus“.
Emmylou Harris
WRECKING BALL: DELUXE EDITION
Nonesuch 2 CDs___________(100’) + DVD
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REPERTOIREWERT
ÜBERSPIELQUALITÄT
Nach sechs „Grammys“ für heraus-
ragende Verdienste um die Coun-
try Music erhielt Emmylou Harris
ihren siebten für „Wrecking Ball“
- für das „best contemporary folk
album“ des Jahres 1995! Zwei Jah-
re nach „Cowgirl’s Prayer“ bedeu-
tete das einen harten Bruch mit
der eigenen musikalischen Ver-
gangenheit, dezent abgefedert am
Ende durch den mit Rodney Cro-
well komponierten „Waltz Across
Texas Tonight“. Aber auch den hat-
te Daniel Lanois gegen alle Konven-
tionen des Country-Genres produ-
ziert. Mit Tonmeister Malcolm Burn
drückte er dem Versuch, sich künst-
lerisch neu zu erfinden, radikal sei-
nen Stempel in Sachen Sound auf.
So heftig, dass man nachträglich
erfreut konstatieren durfte, dass
ihm das 1989 bei den Sessions zu
Bob Dylans „Oh Mercy“ nicht ge-
lungen war. Apropos Dylan: Wie La-
nois die Deutung von „Every Grain
Of Sand“ produzierte, vom Meister
mit viel Gospel-Frömmigkeit vor-
getragen, klingt im Vergleich fast
schon wieder agnostisch.
Eine
Stern-
stunde der In-
terpretation auf
„Wrecking Ball“
war das mit Neil
Young,
Steve
Earle und Lucin-
da Williams (der
K o m p o n istin )
im Studio eingespielte „Sweet Old
World“. Das betört in der Proben-
fassung unter dem Dutzend Outta-
kes auf der zweiten CD allerdings
mindestens genauso, wenn nicht
mehr als im Original. Die ganze
Hallsoße über Anna McGarrigles
„Goin’ Back To Harlan“ gehörte zu
den Exzessen, die sich Lanois un-
geniert erlaubte. An der sparte er
auch nicht bei „Where Will I Be“
und „Deeper Well“, Songs aus sei-
ner eigenen Feder, Letzterer seiner-
zeit ins Archiv verbannt, der erst
jetzt als Zugabe vorliegt. Fans von
Jimi Hendrix und Appalachen-Folk
mögen Emmylou Harris’ Deutungen
von „May This Be Love“ und Gil-
lian Welchs „Orphan Girl“ als Sak-
rileg betrachten. Das sind trotzdem
herausragende Aufnahmen. Über-
nommen wurde das HDCD-Maste-
ring von Joe Gastwirt.
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problem atisch I ★ schlecht
STEREO 7/2014 141